Die großen IT-Hersteller haben lange an den neuen Produkten gearbeitet, die in den Unternehmen demnächst Telefone, Mailsysteme und Faxgeräte ablösen sollen. Jetzt stehen die neuen Büroanwendungen zum Abruf durch die Kunden bereit – und die wundern sich. Soll doch nach Meinung der IT-Lieferanten der Büroalltag zukünftig von den Web-2.0-Technologien und -Anwendungen geprägt sein. Die Vorstellung ist, dass sich Mitarbeiter in den internen Netzwerken der Unternehmen so selbstverständlich bewegen und austauschen, dort diskutieren oder streiten, wie viele es heute im Internet tun. Hierfür bieten die Hersteller ihren Kunden an, die internen Datennetze nach Vorbild des World Wide Web aufzurüsten. E-Mail wird dann eine Technologie von gestern sein. Der moderne Mitarbeiter kommuniziert mit den Kollegen per Video und Webkonferenz. Die Videoverbindung von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz wird so normal wie heute Telefonate über Yahoo oder Skype. In einem unternehmensinternen sozialen Netzwerk pflegen die Kollegen ihre Profile. Sie tippen ihr Wissen in Wikis und sind jederzeit für jeden im Konzern erreichbar.
Je mehr die Unternehmen die Notwendigkeit der internen Kommunikation und Zusammenarbeit unterstützen, desto höher werde die Qualität der Arbeit, so Lehre und Argumentation der IT-Hersteller. Mit diversen Studien verschiedener Marktforschungsinstitute ließen sie sich diese Modelle untermauern. Doch sind die Manager in den Unternehmen für dieses Umdenken bereit? Für sie würde die Umstellung bedeuten, eine lange Reihe neuer Begriffe zu lernen. Auf weltweiten Meetings und Konferenzen könnten sie sich über die im Unternehmen aufgebauten Wissensnetze austauschen. Social Tagging würde ebenso ein Thema werden wie die interne Search Engine Optimisation oder das Produkt-Ranking. Ob und wann sie das Ziel einer „Kollektiven Intelligenz†aller Beschäftigten erreichen, wäre ein Gegenstand der Diskussion, welche Formen der „Content Syndication†– also der vielfachen Verwendung des gleichen Inhaltes – sie anwenden, ein weiterer.
Bis dahin scheint es allerdings ein weiter Weg zu sein. Denn die Resonanz auf der Kundenseite ist nicht so positiv, wie sich die Hersteller das wünschen. Legen nämlich die Manager ihre Maßstäbe an und messen die neuen Ideen anhand ihrer Raster von Business Case, Return des Investments, Schulungsaufwand, Rollout oder Unternehmensstrategie, schrumpfen die angepriesenen Vorteile. Natürlich ist Kommunikation ein Thema auf der Tagesordnung, allerdings beschäftigen sich viele IT-Abteilungen mit Unified Communications und sind so gefühlte 100 Jahre von Web-2.0-Konzepten entfernt. „Einheitliche Kommunikation“ bedeutet in diesem Zusammenhang in erster Linie den Dokumenten- und Gedankenaustausch mit der guten alten E-Mail plus einer Vielzahl von Eins-zu-Eins-Kommunikationen. Vom Aufbau einer möglichen „Kollektiven Intelligenz“ ist nicht die Rede. Vielmehr überlegen die Verantwortlichen, wie die Mitarbeiter ihre Verfügbarkeit mit so genannten „Presence“-Informationen anzeigen könnten. Die Möglichkeiten zu Webkonferenzen stehen auf der Tagesordnung – sowie auch die Einsicht in öffentliche Kalender, Chats, Voice-over-IP-Telefonie und das Instant Messaging.
Und jede Technologie steht für ihre eigenen Probleme – in Gesprächen mit Managern oder IT-Leitern scheint Unified Communications ein Albtraum zu sein. Da es in den Unternehmen zur Kommunikation Telefone gebe, sei für konservative Unternehmenslenker ein offensichtlicher Nutzen nicht zu erkennen. Darüber hinaus seien die Kosten immens und ein Return kaum zu rechnen. Schon beim Aufbau der E-Mail-Systeme hatten die IT-Abteilungen gelernt, dass die digitale Kommunikation im Vergleich zum guten alten Brief kaum Einsparungen brachte. Beispielsweise weil E-Mails völlig neue und kostspielige Fragen aufwarfen: Viren, Trojaner, Compliance, Speichersysteme, Konzepte für digitale Archivierung, das Aussortieren des allgegenwärtigen Spams. Ein Ausgangspunkt für endlose Diskussionen mit dem Betriebsrat sind so genannte Presence-Informationen – also die Anzeige, ob ein Mitarbeiter erreichbar ist oder nicht – und sein öffentlicher Kalender.
Die Personalvertreter argumentieren, die Möglichkeiten bei der Überwachung der Mitarbeiter gingen klar zu weit. Dann sperren sie sich gegen diese Funktionen und stellen damit das gesamte Projekt in Frage. Viele IT-Abteilungen beschreiben Instant-Messaging-Systeme als den schieren Horror. Über viele Jahre waren sie die definitive Grenze jedweder Bemühung um eine einheitliche Compliance-Regelung im Unternehmen. Während jede Mail, jeder Brief, jedes Fax, jeder Vertrag inhaltlich den Regeln des Unternehmens entsprechen musste, plauderten die Mitarbeiter über Yahoo oder MSN mit Kunden oder Lieferanten. Ohne Kontrolle, ohne Speicherung oder Archivierung wechselten – und wechseln – auf diesem Weg nicht nur Informationen den Besitzer, sondern auch Dokumente, Bilder, Datensätze. Und mit Schrecken sehen Verantwortliche dem Thema Voice-over-IP (VoIP) entgegen. Hier bahnt sich ein langer Konflikt zwischen der IT und den Verantwortlichen aus den Telefonabteilungen an. Denn mit der Digitalisierung der Telefonanlage wird ein Computerserver deren Aufgaben übernehmen. Die alten, analogen Schaltstellen werden hinfällig, aus dem Haus getragen und verschrottet.
Für viele altgediente Verantwortliche aus der bisherigen Telefonabteilung ist dies ein undenkbarer Umbruch. Sie würden über Nacht sämtliche Kompetenzen verlieren, die sie sich in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut haben. Also stemmen sie sich gegen die Neuerungen und beharren auf ihren Anlagen, die technisch vielleicht noch immer einzigartig sind – allerdings aus Sicht der IT in ein vergangenes Jahrtausend gehören.
Quelle: http://www.automotiveit.eu/buro-2-0-das-ende-von-fax-telefon-und-mail/blickpunkt/id-0019802